Shade's Geschichte

"Lass mich doch mal in Ruhe", brüllte ich. Mal wieder wollte mich meine Mutter einfach nur ausschimpfen. Ich hatte lediglich den Tag mit Freunden verbracht, die ebenso wie ich, ein bis zwei Monde alt waren. "Du bist genau wie dein Vater", schrie mich meine Mutter, Enaim, an. "Stur, selbstsüchtig und egoistisch!" Ich knurrte sie an. "Warum konntest du mich nicht bei meiner Geburt umbringen? Wieso musst du mir jetzt das Leben zur Hölle machen?!" Sie fletschte die Zähne und fuhr die Krallen aus. "So redest du nicht mit deiner Mutter!", zischte sie. Ihre zusammengekniffenen, gelben Augen starrten direkt in meine. Ich versuchte diesem feindseligen Blick stand zu halten, doch er zwang mich in die Knie. Ich drückte mich auf den Boden. "Du bist nicht meine Mutter", presste ich kalt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Nun wurde Enaim richtig wütend. Sie holte aus und fuhr mir mit ihren Krallen durchs Gesicht, welches ich von ihr abwandte. Jaulend drückte ich mich noch flacher auf den Boden. Dann wandte ich ihr wieder mein Gesicht zu. Ohne zu Zögern sprang ich sie an und Biss ihr in die Kehle, doch ich war noch ein Junges. Sie schleuderte mich mit ungeheurer Wucht zu Boden. Einen Moment blieb ich keuchend liegen. Dann rappelte ich mich auf. Ich hatte keine Chance gegen sie. Also floh ich. Ich rannte durch die Katzenklappe in den Garten. Die Scharfen Kieselsteine schnitten meine noch zarten Ballen auf. Ich zog mich an einer Zaunlatte hoch. Holzsplitter bohrten sich in meine Pfoten und ich riss mir eine Kralle aus. Ich war wütend und entsetzt über meine Mutter. Wie konnte sie mir nur so etwas antun? Ich war doch ihre Tochter! Sie sollte mich lieben und beschützen und nicht verachten! Warum hasste sie mich so sehr?
Ich sprang von dem Zaun herunter und rannte durch das hohe Gras auf dieser Seite. Ich konnte nun nirgendwo hin. Meine Freunde waren Hauskätzchen, ihre Zweibeiner würden mich nicht dulden. Und mein Vater war ein Streuner. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er hatte meine Mutter bei meiner Geburt verlassen.
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich hatte alles verloren. Mein Zuhause, meine Familie, Meine Freunde ... Alles!
Ich blinzelte. Vor mir sah ich riesige Bäume aufragen. Ein Wald. Ich hatte ihn bisher nur von weitem gesehen. Plötzlich kam mir ein Geistesblitz. Was wäre, wenn ich einfach immer weiterlaufen würde? Ich könnte diese schreckliche Welt, diesen Ort, zurücklassen. Wenn mein Vater ohne Zweibeiner leben konnte, könnte ich das auch! Immer noch wütend und traurig, aber entschlossen lief ich in den Wald. Von nun an würde meine Reise beginnen. Ich würde all das hier hinter mir lassen und die Welt erforschen. Ich würde mich nicht mehr so behandeln lassen und auch nie mehr zulassen, dass mich irgendjemand so verletzen könnte, wie es dieser Verlust getan hatte. 
Von nun an würden mich meine Pfoten tragen, bis ich etwas finde, das gut ist, das mir Freiheit und Freude verspricht!